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»Die Kehle durchschneiden«

Iraks Diktator Saddam Hussein, dem Größenwahn verfallen, spielte wieder mit Krieg: Er drohte das benachbarte Kuweit anzugreifen, falls sich die dortigen Ölscheichs nicht seinem Willen beugten. Im Nahen Osten löste Saddam Hussein Panik aus. Er verfügt über C-Waffen, die er schon im Golfkrieg skrupellos einsetzte.
aus DER SPIEGEL 31/1990

Einen kurzen Augenblick schien es, als wäre der Tyrann plötzlich weise geworden: »Wer kann behaupten, daß wir mit unserer Politik und unserem Denken für alle Ewigkeit die Besten sind?« Solch einsichtige Töne waren die Mitglieder des »Kommandorats der Revolution«, des höchsten irakischen Staatsorgans, nicht gewohnt - und schon gar nicht aus dem Munde ihres Führers Saddam Hussein, 53.

Der legte noch einen drauf. »Wir müssen«, verkündete er den verdutzten Kameraden, »die Frage stellen: Dürfen wir allein und für immer herrschen?«

Die gute Frage, Anfang dieses Jahres aufgeworfen, hat Saddam Hussein jetzt in alter Manier selbst beantwortet. Der Diktator erwägt, sich zum Präsidenten auf Lebenszeit ernennen zu lassen.

Fazit: Besinnliche Momente sind rar im Leben des Saddam Hussein. Meistens strebt er mit rabiaten Drohungen und blankem Terror seinem Lebenstraum entgegen: als Nachfolger des Ägypters Nasser der alleinige, allseits gefürchtete Führer der arabischen Welt zu werden.

Auf dem Weg zu diesem mit fanatischer Entschlossenheit verfolgten Ziel hat er es schon weit gebracht: Kein anderer arabischer Potentat gilt als vergleichbar unberechenbar, größenwahnsinnig und skrupellos. Mit Giftgas strafte er die ungehorsame kurdische Minderheit seines Volkes, dem »zionistischen Erzfeind« drohte er den totalen Einsatz von C-Waffen an: »Ich schwöre bei Gott, unser Feuer wird halb Israel ver schlingen.«

Sein eigenes 16-Millionen-Volk unterjocht er mit stalinistischen Polizeistaat-Methoden und baut um sich einen Personenkult auf, wie er nicht einmal mehr in Albanien denkbar wäre.

1980, aus einer krassen politischen wie militärischen Fehleinschätzung heraus, griff er den großen Nachbarn Iran an: »Der geniale Blitzkrieg« (so Saddam Hussein in den ersten Tagen des zügigen Vormarsches seiner Armee) dauerte dann acht Jahre, weit länger als der Zweite Weltkrieg. Er forderte viele Hunderttausende Opfer und eskalierte durch den Tankerkrieg im Golf zu einem gefährlichen, die Supermächte einbeziehenden internationalen Konflikt, den der Anstifter vor allem deshalb überlebte, weil er bedenkenlos Giftgas einsetzte und dem international isolierten Gegner zuletzt der Nachschub ausging.

In diesen Wochen rasselt der Herrscher an Euphrat und Tigris erneut mit dem Säbel - und in Nahost brach Panik aus. Wieder einmal ging im brodelnden arabischen Unruheherd das Gespenst eines Ölkriegs um - mit unberechenbaren Schäden für die Wirtschaft der Welt.

Diesmal hatte Saddam Hussein den winzigen, aber superreichen Nachbarn Kuweit zum Ziel seiner Aggression erkoren - ausgerechnet jenes Ölemirat, das während des Golfkrieges mit 14 Milliarden Dollar Bagdads Kampf gegen die Chomeini-Truppen mitfinanzierte und über den Hafen von Kuweit den lebensnotwendigen irakischen Waffen- und Güternachschub garantierte. _(* Gemälde auf einer Hauswand in Basra. )

Kuweit habe seinem Land »das Messer in den Rücken gestoßen«, behauptete Saddam nun, denn der Nachbar habe im letzten Jahrzehnt im Grenzgebiet ein irakisches Ölfeld angebohrt und damit dem Irak einen Schaden »von 2,4 Milliarden Dollar« zugefügt.

Es blieb nicht bei einer verbalen Drohung: 30 000 Mann, unterstützt von Panzerverbänden und Luftlandetruppen, marschierten entlang der 240 Kilometer langen Wüstengrenze zwischen dem Irak und Kuweit auf. Daraufhin versetzte der kuweitische Staatschef Emir Dschabir el-Ahmed seine 20 300-Mann-Truppe in Alarmbereitschaft. Auch Washington schickte seine sieben im Golf kreuzenden Kriegsschiffe in Richtung irakische Küste.

Der Zeitpunkt für das militärische Muskelspiel des unberechenbaren Kriegstreibers war mit Bedacht gewählt. Auf der Konferenz der Organisation Erdölexportierender Länder (Opec), die Donnerstag vergangener Woche in Genf begann, will der Irak Kuweit und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zwingen, sich künftig streng an die von der Opec festgelegten Förderbedingungen zu halten.

Saddam Husseins - durchaus gerechtfertigter - Vorwurf: Die beiden Emirate seien in der Vergangenheit mit dauernder Überproduktion dafür verantwortlich gewesen, daß der Ölpreis im ersten Halbjahr 1990 von 22 auf 14 Dollar pro Barrel gesunken ist. Er werde den Kriegsverbündeten - auch die VAE hatten Bagdad großzügig alimentiert - deshalb »die Kehle durchschneiden«.

Dem Irak, dessen Hauptgeldquelle Erdöl ist, droht durch den Preisverfall die Pleite. Ohnehin ist das Land als Folge des achtjährigen Krieges wirtschaftlich ruiniert. Bagdad hat 80 Milliarden Dollar Schulden im Ausland. Dagegen erreichten die Erlöse aus dem Ölexport 1989 nur 15,4 Milliarden. Folge: Die Inflationsrate liegt bei 30 Prozent. Grundnahrungsmittel werden immer knapper und sind selbst in der Hauptstadt Bagdad oft nur nach stundenlanger Warterei zu ergattern.

Der Bankrott des Staates wird durch die gewaltigen Summen beschleunigt, mit denen Saddam Hussein sein Heer weiter hochrüstet: Eine Million Mann hält der Diktator, der sich mit Vorliebe in Uniform zeigt, unter Waffen, kriegserprobt und bestausgerüstet, dazu eine Luftwaffe mit 600 modernen Kampfflugzeugen, weitreichenden Raketen und Giftwaffen, bei deren Herstellung ihm ausländische, auch bundesdeutsche, Firmen zu Diensten waren.

Seit dem mühsamen Waffenstillstand mit dem Iran vor zwei Jahren ist die Stimmung unter den Soldaten gereizt - zumal das Regime bis heute nicht in der Lage ist, Auskunft über das Schicksal von mindestens 40 000 vermißten Landsleuten zu geben, die vermutlich zum größeren Teil noch in iranischer Gefangenschaft gehalten werden.

Um von den Problemen mit unzufriedenen Soldaten und darbenden Bürgern abzulenken und um die Moral der Truppe mit der Aussicht auf ein müheloses militärisches Abenteuer aufzumöbeln, besann sich Saddam des schon seit Jahrzehnten gärenden Grenzkonflikts mit Kuweit.

Als die Briten das Schutzgebiet 1961 in die Unabhängigkeit entließen, blieb der genaue Verlauf der Grenze mit dem einst ebenfalls britisch beherrschten Irak ungeklärt. Vor allem die beiden Kuweit zugeschlagenen Inseln Warba und Bubijan westlich der Mündung des Schatt el-Arab reklamierte die Bagdader Führung stets als »natürlichen Teil des Irak«.

Die Eilande sind von größter strategischer Bedeutung, seit die Hafenstadt Basra von iranischen Raketen plattgeschossen wurde. Außerdem würde ihr Besitz den Irakern einen besseren Zugang zum Golf sichern.

Nach dem iranisch-irakischen Waffenstillstand im August 1988 sah die kuweitische Herrscherfamilie Sabbah eine Chance, die Grenzstreitigkeiten endgültig zu bereinigen. Eine Delegation reiste nach Bagdad und hoffte, so Außenminister Sabbah el-Ahmed, Saddam »durch Schmeicheleien zu einer großzügigen Geste zu bewegen«. Doch der blieb stur und verschreckte die Kuweiter mit der Bemerkung »Wir sind ein Volk und ein Land«, deshalb brauche es auch »gar keine Grenzen«.

Emir Dschabir zu Hause in Kuweit deutete die kryptische Botschaft des Irakers richtig: »Damit ist der nächste Konflikt programmiert, und wir müssen noch mehr auf der Hut sein als bisher.«

Während des Golfkrieges, als Kuweit seinem arabischen Brudervolk so großzügig unter die Arme griff, verübten irakische Saboteure Sprengstoffanschläge, um das Kuweiter Herrscherhaus zu destabilisieren. Die Terrorakte wurden von der Regierung entweder totgeschwiegen oder proiranischen Fanatikern in die Schuhe geschoben.

Wie entschlossen Saddam Hussein ist, mit einer Annexion der beiden Inseln sein Herrschaftsgebiet zu erweitern, gab sein Stellvertreter Saadun Hammadi deutlich zu verstehen. Sein Land sei »bereit«, die »ihm historisch zustehende Situation« im Golf wiederherzustellen, um die »nationalen Interessen aller Araber« besser verteidigen zu können. Doch Saddams Appetit, fürchtet Kuweit, dürfte damit noch längst nicht gestillt sein. Auch ein etwa 2500 Quadratkilometer großes Grenzgebiet könnte vom Irak überrannt werden - dort vermuten Spezialisten besonders reiche Erdölvorkommen.

Ende vergangener Woche zeichnete sich - bei aller Vorsicht vor der oft bewiesenen Unberechenbarkeit des irakischen Tyrannen - noch einmal eine Lösung des Konfliktes ab.

Saddam versprach in einer dringenden Botschaft an US-Präsident Bush, daß zumindest während Vermittlungsgesprächen am vergangenen Wochenende »militärisch nichts geschehen« werde. Aber auch die völlig verängstigten Kuweiter haben eingelenkt: Sie erwogen, dem Irak auf den umstrittenen Inseln Warba und Bubijan »Nutzungsrechte« für das Nordufer zu erteilen - in der wohl trügerischen Hoffnung, mit diesem Entgegenkommen Saddam Husseins Expansionsgelüste bremsen zu können.

In Bagdad wurde das Zukreuzekriechen der Kuweiter dementsprechend höhnisch kommentiert. Die Nachbarn, hieß es aus dem Präsidentenpalast, »würden aus Angst vor dem Tod noch Selbstmord begehen«. o

* Gemälde auf einer Hauswand in Basra.

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