Zum Inhalt springen

Milosevic Der Totengräber Jugoslawiens starb allein in seiner Zelle

Slobodan Milosevic war für Tod und Vertreibung, Leid und Elend von Millionen seiner Landsleute verantwortlich. Er galt als der Totengräber Jugoslawiens und als der Hauptverantwortliche der Balkankriege. Heute starb er in seiner Zelle in Den Haag.

Den Haag - Unzählige Male war der Prozess gegen Slobodan Milosevic wegen der angeschlagenen Gesundheit des Angeklagten vertagt worden. Immer häufiger blieb der Herzkranke schließlich in seiner drei mal fünf Meter großen Zelle. Hier in der Einzelhaft hatte der Despot die letzten fünf Jahre seines Lebens verbracht; zwischen Bett, Schreibtisch, Dusche, Toilette und Satellitenfernseher mit serbischem Programm.

Wenn die Anhörungen dann stattfanden, nutzte der ehemalige jugoslawische Staatschef die Tribüne für eine seiner hasserfüllten und endlosen Tiraden gegen das Tribunal, das er verächtlich für "illegal" hielt. Er habe ein reines Gewissen und sei nur von dem Wunsch geleitet worden, seinen unterdrückten serbischen Landsleuten in Jugoslawien zu ihrem Recht zu verhelfen, hatte er immer wieder betont.



Am Dienstag hätte das Verfahren eigentlich weitergehen sollen. Fast 400 Zeugen wurden schon vernommen, mehr als eine Million Seiten gelesen und rund 200 Videos gesichtet. Die Anklage warf Milosevic vor, während der Kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Insgesamt stehen mehr als 60 Anklagepunkte auf der Liste.

Er soll für die Deportation von mindestens 170.000 Kroaten und anderen Nicht-Serben verantwortlich gewesen sein. Er galt als der Mann hinter dem Massaker in Vukovar, wo serbische Einheiten Ende 1991 nach der Einnahme der Stadt mehr als 250 Kroaten und andere Nicht-Serben aus dem Krankenhaus holten, folterten und töteten.

Für seine Rolle im blutigsten der Balkan-Kriege, dem Bosnien-Krieg, wurde Milosevic des Völkermordes beschuldigt, der schwersten Anschuldigung, die das Tribunal erheben kann. Er wurde für den Tod von 9000 Menschen in Bosnien verantwortlich gemacht, die meisten von ihnen bosnische Moslems und Kroaten. Allein bei der Einnahme der Enklave Srebrenica töteten die Truppen bosnischer Serben mehr als 7000 moslemische Männer und Jungen. Tausende starben auch in den berüchtigten Lagern Omarska und Keraterm.

Das Tribunal sah in ihm den Schuldigen für die systematische Vertreibung von Albanern während des Kosovo-Krieges ab Januar 1999. Unmittelbar verantwortlich war Milosevic demnach für die Vertreibung von 800 000 Zivilisten aus dem Kosovo und den Tod von mindestens 900 Menschen.

Ein Urteil wird nie gefällt

Der studierte Jurist bestand, darauf sich selbst zu verteidigen. Er las Dokumente und befragte Zeugen. Anfang Februar ging das Verfahren gegen Milosevic in das fünfte Jahr. Doch ein Urteil wird nie gefällt, denn heute Morgen wurde der 64-Jährige tot in seiner Zelle in Scheveningen gefunden. Ein Wärter habe ihn leblos auf seinem Bett entdeckt, teilte das Tribunal mit. Die Todesursache ist noch unbekannt, es wurde eine Obduktion angeordnet.

Das politische Ende des einst mächtigsten Manns des Balkan liegt bereits fünfeinhalb Jahre zurück: Mit dem Sturm auf das Parlament in Belgrad am 5. Oktober 2000 stieß das aufgebrachte Volk den Despoten vom Thron. Mit allen Mitteln hatte sich das jugoslawische Staatsoberhaupt an die Macht geklammert, hatte seine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl im September nicht anerkennen wollen. Er verschanzte sich in seiner Residenz und drohte den neuen demokratischen Machthabern: "Lebend kriegt ihr mich nicht." Gut ein halbes Jahr später wurde Milosevic in einer nächtlichen Polizeiaktion wegen Machtmissbrauchs und Korruption festgenommen. "Erschieß dich doch, bitte erschieß dich", jammerte seine Tochter Marija, eine Pistole in der Hand, als ihr Vater abgeführt wurde. Sie wollte ein heroisches Ende für ihren Vater, kein schmähliches als Angeklagter vor Gericht.

Brandrede auf dem Amselfeld

Milosevics Aufstieg begann 1989 im Kosovo. Millionen Serben bejubelten seine Rede zum 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld am 29. Juni. Auf dem Schauplatz der mythenumrankten Niederlage gegen die Türken versprach Milosevic, das einstige Kernland des serbischen Reiches heimzuholen. Aber in Wahrheit gab er mit seiner Rede den Anstoß zum Zerfall Jugoslawiens.

Sein Bemühen um die Schaffung eines Großserbiens gilt als der eigentliche Sprengsatz, der den früheren gemeinsamen Staat der Südslawen zerstörte. Milosevic ist auch der Grund für weitere Spaltungen. Die Albaner in der südserbischen Provinz Kosovo streben mit Hinweis auf die Verbrechen der Milosevic-Ära ebenso nach staatlicher Selbstständigkeit wie das kleine Montenegro.

Er war der Hauptverantwortliche in der Dekade der vier jugoslawischen Erbfolgekriege, die nahezu 300.000 Tote forderten und Millionen Vertriebene. Seinem Volk bescherte er zudem wirtschaftliches Elend und das Ende aller großserbischen Ambitionen.

Auf den Tag genau zwölf Jahre nach seiner Brandrede zum Gedenken an die Schlacht auf dem Amselfeld überstellte ihn Belgrad im Juni 2001 dem Uno-Tribunal in Den Haag.

Der Mörder seines eigenen Gönners

Geboren wurde der Sohn eines orthodoxen Theologen aus Montenegro und einer Kommunistin am 20. August 1941 im ostserbischen Pozarevac. Den Aufstieg in der Kommunistischen Partei verdankte der Jurist und Banker seinem Gönner Ivan Stambolic, den er nicht nur kaltblütig abservierte, sondern später auch ermorden ließ.

1987 übernahm er die Führung der Partei. Ein Posten, mit dem Milosevic weit reichende Ambitionen verband: Starker Mann eines von den Serben beherrschten Jugoslawien wollte er werden, dazu bediente er sich hemmungsloser nationalistischer Propaganda. Die serbische Präsidentschaftswahl 1989 wurde zu einem Triumph für den Machtpolitiker; im selben Jahr setzte er die den Kosovo-Albanern zuerkannte Autonomie innerhalb der serbischen Republik außer Kraft.

"Alle Serben in einen Staat" lautete das Schlagwort, unter dem er von 1991 an die Feldzüge gegen Kroatien und Bosnien entfesselte. Doch der Krieg in Kroatien endete 1995 mit der serbischen Niederlage und der Vertreibung von 200.000 Menschen aus ihrer seit 300 Jahren angestammten Heimat. Im Bosnien-Krieg avancierte Milosevic zum hofierten Gesprächspartner des Westens. Das Friedensabkommen von Dayton besiegelte 1995 das Ende des Kriegs, die 1992 verhängten internationalen Sanktionen wurden teilweise ausgesetzt.

Der Kosovo-Konflikt trieb die aus den Teilrepubliken Serbien und Montenegro bestehende Bundesrepublik Jugoslawien wieder in die vollständige internationale Isolierung. Im Frühjahr 1999 musste sich Milosevic nach elf Wochen der Nato geschlagen geben. Das Haager Uno-Tribunal klagte ihn wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordes im Kosovo, im Kroatienkrieg (1991-1995) sowie im Bosnienkrieg (1992-1995) in mehr als 60 Punkten an. Im Falle eines Schuldspruchs hätte ihm lebenslange Haft gedroht.

Seit er im August 2004 seine eigene Verteidigung übernommen hatte, konzentrierte sich der Ex-Staatschef auf den Kosovo-Konflikt. Nachdem er bereits zwei Drittel der ihm zustehenden 360 Stunden Sprechzeit darauf verwandt hatte, drängte ihn das Gericht im Dezember, auf die schwerwiegenderen Anklagepunkte zu sprechen zu kommen - etwa den Völkermord in Bosnien. Nach dem Programm des Tribunals hätte Milosevic im März zum Abschluss kommen sollen. Das Verfahren hätte vielleicht Mitte des Jahres abgeschlossen werden können. Wenige Monate später wäre das Urteil gefällt worden.

ler/AFP/dpa